Energetisches Vorzeigequartier in Rödgen

Veröffentlicht am: 17.06.2023

Erste Bewohner bringen Leben ins Neubaugebiet

Bad Nauheim wächst: Bereits mehr als die Hälfte der insgesamt 38 Häuser im Baugebiet Rödgen sind fertig oder im Bau, über 10 sind schon bewohnt. Allen gemeinsam ist eine klimaschonende und effiziente Energieversorgung, speziell konzipiert von den Stadtwerken Bad Nauheim für dieses Quartier. „Im Neubaugebiet Rödgen haben wir ein zukunftsweisendes Energiekonzept umgesetzt. Es besteht aus einer Wärme- und Stromversorgung durch Kalte Nahwärme, Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen“, informiert Stadtwerke-Geschäftsführer Dr. Thorsten Reichel.

 

„Wir fühlen uns hier schon jetzt zu Hause“, sagt Tim Schütz. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin ist er im Februar in das erste eigene Haus „Am Holzberg“ im Neubaugebiet Rödgen eingezogen: „Draußen herrscht noch Baustelle pur, aber drinnen haben wir es gemütlich“, sagt er. Spatenstich für das Neubaugebiet war im Sommer 2021. Bis alle Häuser bezugsfertig sind, wird es etwas länger dauern als ursprünglich geplant. Klaus Kreß, Bürgermeister von Bad Nauheim, erklärt: „Die Bauplätze waren äußerst begehrt, doch Inflation und die Entwicklung der Zinsen haben manche Eigenheimträume zum Platzen gebracht.“ Mittlerweile seien aber alle Bauplätze vergeben, die Fertigstellung des Quartiers habe sich lediglich etwas verzögert und werde sich bis in das nächste Jahr ziehen. „Die Stadtwerke haben in Rödgen ein vorbildliches Energiekonzept entwickelt. Es ist innovativ und ganzheitlich und macht unser Neubaugebiet zu einem deutschlandweiten energetischen Leuchtturmprojekt.“

 

Römerfunde im Kollektorenfeld

Zum Gesamtpaket der Stadtwerke gehört die Wärmeversorgung mittels Kalter Nahwärme. Hierfür bringt das kommunale Unternehmen Wärmekollektoren in die Erde ein. Der dafür vorgesehene angrenzende Acker gab bei den Arbeiten eine lang verborgene Überraschung frei: Hinterlassenschaften aus der Römerzeit. Die Funde haben eine Ausgrabung von rund zwölf Wochen Dauer nach sich gezogen. In dieser Zeit standen die Arbeiten für die Wärmekollektoren still. Die Archäologinnen und Archäologen fanden bei den Grabungen unter anderem die rund 2.000 Jahre alten Reste eines Militärlagers sowie einer römischen Villa.

 

Kollektoren, Kabel und Glasfaser

Der archäologischen Ausgrabung folgten Eingrabungen vonseiten der Stadtwerke: In einer Tiefe von 1,50 Metern verlegte der Versorger ein Kollektorenfeld von 5.100 Quadratmetern Größe. Ebenfalls in die Erde eingebracht wurden etliche Meter Versorgungsleitungen sowie ein insgesamt 1.600 Meter langes Glasfaserkabel. Längst befinden sich alle Kabel und Kollektoren an Ort und Stelle, teilweise muss lediglich noch etwas Erde aufgebracht werden. 

 

Klimafreundliche Wärme aus dem Boden

Die Erdwärmekollektoren in eineinhalb Metern Tiefe nehmen die dort ganzjährig vorherrschende konstante Bodentemperatur auf. Über Leitungen, die mit einer sogenannten Sole (Wasser-/Glykolgemisch) befüllt sind, gelangt diese „Kalte Wärme“ dann in die Häuser. „In den Wohngebäuden bringen Wärmepumpen die Temperatur auf ein höheres Niveau für Warmwasser und die Heizungen“, erklärt Sebastian Böck, der bei den Stadtwerken Bad Nauheim die Kalte-Nahwärme-Projekte betreut. Wärmepumpen lohnen sich besonders, wenn der Unterschied zwischen Quelltemperatur und Vorlauftemperatur möglichst gering ist. Mit der Kalten Nahwärme liegt die Quelltemperatur im Jahresmittel konstant bei zehn Grad Celsius und ist damit in den kalten Monaten viel höher, als es zum Beispiel bei Luftwärmepumpen der Fall ist. „Der besondere Clou: In den Sommermonaten nutzen die Bewohnerinnen und Bewohner die immer konstante Temperatur aus den Wärmekollektoren für eine Kühlung ihrer Räume. Diese Art der Naturkühlung ist umweltfreundlich und darüber hinaus auch kostenlos. Angesichts des Klimawandels mit zunehmend heißen Sommern ist das ein zusätzlicher Standortvorteil für die Neu-Rödgener“, sagt Sebastian Böck.

 

Strom vom eigenen Hausdach

Die Eigentümerinnen und Eigentümer konnten die Anlagen bei den Stadtwerken kaufen oder auch vom Energiedienstleister pachten. „Die Sonnenkollektoren decken gute 35 Prozent des gesamten Strombedarfs ab. Ist zusätzlich ein Speicher eingebaut, steigt der Anteil auf bis zu 85 Prozent“, weiß Sebastian Böck. „Das innovative Konzept macht uns unabhängig von den steigenden CO2-Abgaben und energetisch fast autark“, freut sich auch Tim Schütz.

 

Unterirdische Schaltzentrale

Gesteuert wird das Wärmeprojekt über eine unterirdische Schaltzentrale: „Drei mal sechs Meter, so groß ist der Betonquader, in dem wir die Technik untergebracht haben“, erklärt Sebastian Böck. Er ergänzt: „Der Quader ist vollständig im Erdreich vergraben und kann über eine Luke betreten werden. Von der ganzen Zentrale sieht man später lediglich den kleinen Einstieg.“

 

Vorreiter der Kalten Nahwärme

Bereits vor einigen Jahren starteten die Stadtwerke Bad Nauheim im Baugebiet Bad Nauheim Süd ein erstes Projekt mit der Kalten Nahwärme. Das dortige Kollektorenfeld war lange Zeit das größte seiner Art in ganz Deutschland. „In den beiden Baugebieten zusammen versorgen wir zukünftig 450 Wohneinheiten mit der Kalten Nahwärme. Die Stadtwerke Bad Nauheim haben sich auf diesem Gebiet deutschlandweit einen Namen gemacht“, sagt Bürgermeister Klaus Kreß, der sich kürzlich vor Ort über den Baufortschritt ein eigenes Bild verschafft hat.

Sebastian Böck ergänzt: „Wir erhalten Anfragen aus ganz Deutschland und bieten fortlaufend Fachführungen in unserer Energiezentrale an. Weitere Anlagen in und um Bau Nauheim sind durchaus vorstellbar.“