Bad Nauheim. „Die Bodenplatte ist bereits gegossen“, strahlt Kim P. und zeigt auf eine Holzverschalung hinter sich. Die junge Frau hat ihre sechs Monate alte Tochter in der Babytrage mit auf die Baustelle gebracht. Mit der Familie wird die 32-Jährige zukünftig im Neubaugebiet Rödgen im eigenen Haus wohnen. „Wir hoffen, dass es in einem Jahr so weit sein wird und wir einziehen können“, blickt die junge Mutter in die Zukunft. Das Neubaugebiet Rödgen Am Holzberg bietet etlichen Familien in 38 Wohneinheiten zukünftig ein neues Zuhause. Vor einem Jahr war der Spatenstich für Bad Nauheims jüngstes Wohngebiet. Seitdem ist es auf dem Holzberg spannend gewesen.
Schon bevor die ersten Häuser standen, vermeldete man aus Rödgen eine Besonderheit aus dem Erdreich: Etwa 100 Meter vom Baugebiet entfernt stießen Archäologen auf römische Funde. Von einem Militärlager und einer Villa ist die Rede - ein spektakuläres Ereignis für die Fachleute. „Die Gegend heißt ‚Am Römerberg‘, was schon darauf hinweist, dass hier etwas zu finden ist. Nur, wo genau und was, das war die Überraschung“, erzählt Bürgermeister Klaus Kreß. Neben dem römischen Militärlager wurden in Rödgen auch zwei Skelette aus keltischer Zeit gefunden. Die Ausgrabungen verzögerten die Vorhaben der Stadtwerke Bad Nauheim; im kommenden Juli sollen sie abgeschlossen sein. „Archäologische Funde sind immer toll, wenn man aber derjenige ist, der für den zügigen Fortschritt des Baus verantwortlich ist, sitzt man durch eine Ausgrabung manchmal schon wie auf heißen Kohlen“, lächelt Sebastian Böck, Projektleiter im Bereich Energiedienstleistung bei den Stadtwerken Bad Nauheim.
Doch untätig waren die Stadtwerke nicht in Rödgen: Etliche Meter Versorgungsleitungen und insgesamt 1.600 Meter Glasfaserkabel verlegten sie über den freien Acker, durch den alten Ortskern bis ins Neubaugebiet. „Für so eine Strecke kommt schnell einmal eine Investition von einer halben Million zusammen, denn bei Glasfaser müssen wir je nach Oberfläche pro Meter mit rund 300 Euro rechnen“, informiert Dr. Thorsten Reichel, der Geschäftsführer der Stadtwerke Bad Nauheim. Und eine weitere Besonderheit haben die Stadtwerke dem Erdreich hinzugefügt: einen drei mal sechs Meter großen Quader, den sogenannten Cube. „Im Cube ist unsere Schaltzentrale für das zukünftige Wärmenetz der Neu-Rödgener untergebracht. Er ist das Herz und das Hirn der ganzen Anlage“, erklärt Dr. Thorsten Reichel. Kalte Nahwärme heißt das etwas widersprüchlich klingende Wärmekonzept. Kalt deshalb, da über Erdwärmekollektoren, in einer Tiefe von 1,50 Meter eine über das ganze Jahr recht konstante Bodentemperatur von 10 Grad aufgenommen wird. Mittels einer Trägerflüssigkeit gelangt die kalte Wärme über Leitungen in die Häuser.
Das Konzept ist eine Spezialität der Stadtwerke Bad Nauheim, die für das (Neu-)Baugebiet Bad Nauheim Süd bereits das größte Kalte-Nahewärmenetz in Deutschland realisiert haben. In den Häusern angekommen, bringen Wärmepumpen mit grünem Strom die Temperatur auf ein höheres Niveau für das Warmwasser und die Heizungen der Häuser. Das Ganze erfolgt klimaneutral. „Insgesamt 450 Wohneinheiten beziehen im Baugebiet Süd und Rödgen dann unsere klimaneutrale Kalte Nahwärme. Das muss uns in Deutschland erst einmal jemand nachmachen“, freut sich Bürgermeister Klaus Kreß.
Sebastian Böck kann es kaum erwarten, endlich die Wärmekollektoren ins Erdreich zu bringen. Die Stadtwerke verlegen sie in dem 5.500 Quadratmeter großen Grundstück, dessen archäologische Schätze gerade ans Tageslicht kommen. Wie viel Leitungen, Rohre und Erdkollektoren benötigt werden, um die Kalte Nahwärme von dort in die Häuser zu bringen, wurde per Computeranimation an der Technischen Hochschule Nürnberg berechnet. Dort unterrichtet Professor Stockinger, der bereits in Bad Nauheim Süd das Konzept wissenschaftlich begleitet hat. Auch die Technische Hochschule Mittelhessen hat bereits interessiert bei den Stadtwerken angeklopft. Sie wird zukünftig Messungen und Auswertungen zur Rödgener Kalten Nahwärme vornehmen. Das Material ist geliefert – Sebastian Böck und sein Team können gleich nach Abschluss der Ausgrabungen loslegen.
Losgehen kann es auch für Kim P. Die Hotelmanagerin fühlt sich bereit für den Start in Rödgen und hat bereits Kontakte geknüpft: „Mehrere Freundinnen und Freunde bauen auch in Rödgen.“ Andere zukünftige Nachbarinnen und Nachbarn hat sie auf den Veranstaltungen der Stadtwerke mit den Investoren Faber und Schnepp kennengelernt: „Das war wirklich schön und besonders. Wann trifft man schon einmal mit zukünftigen Nachbarn zusammen?“
Bei den Treffen informierten die Stadtwerke auch über das Energiekonzept für Rödgen: „Wir haben unsere ehemaligen Pläne etwas nachjustiert und bieten jetzt eine Wärme-Strom-Versorgung über die Kalte Nahwärme und Photovoltaikanlagen an. Damit haben die zukünftigen Eigentümerinnen und Eigentümer die größtmögliche Unabhängigkeit von steigenden Preisen und Energieimporten“, erklärt Sebastian Böck. „Besonders schön: Über unser Contracting-Modell können wir den Hausherren ein echtes Rundum-Sorglos-Paket anbieten. Darin enthalten sind neben der Wärmelieferung auch die Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage.“ Für die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer lohnt sich das Modell: „Die Stadtwerke planen, bauen, finanzieren und betreiben die Anlagen. Wir übernehmen je nach Anlage für bis zu 20 Jahre Wartung, Sicherheit und Garantie.“
„Für uns war es ein echter Bonus, dass wir hier zukünftig mit erneuerbaren Energien versorgt werden“, freut sich Kim P. und ergänzt: „In unserer bisherigen Wohnung heizen wir mit Gas. Die Preise sind bereits auf das Dreifache gestiegen. In unserem Haus in Rödgen sind wir weitgehend unabhängig von der geopolitischen Energiemarktsituation und den steigenden Kosten.“ Auch sie kann es kaum erwarten, endlich in ihr neues Zuhause in Rödgen einziehen zu können.